Beschreibung
Das Gegenwartserzählen (episches Präsens) ist ein junger Erzählstil, der
erst in epischen Prosagattungen (Roman, Novelle, Kurzgeschichte usw.) im
20. Jahrhundert an Bedeutung gewinnt. In der deutschen
Kunstballade
hingegen wird das epische Präsens bereits im ausgehenden
18. Jahrhundert verwendet.
Die vorliegende Arbeit macht sich zur Aufgabe, über zweihundert deutsche
Balladen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer
narrativen
Analyse zu unterziehen. Die narrativen Kategorien Zeitbezug und
Erzählertyp stehen im Mittelpunkt der Abhandlung, die dem Tempusgebrauch
in der deutschen Kunstballade nachgeht und die Entwicklungstendenz des
epischen Präsens aufzeigt.
Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß das Vergangenheitserzählen
zwar immer noch dominiert, aber das präsentische Erzählen in der deutschen
Kunstballade im Untersuchungszeitraum zu einer usuellen narrativen
Möglichkeit geworden ist. Sowohl bekannte Dichter wie
Annette von Droste-Hülshoff, Friedrich Hebbel, Heinrich Heine
u. a. als
auch weniger geläufige Autoren wie Anastasius Grün, Ludwig Pfau, Johann
Nepomuk Vogl etc. benutzen den neuen Erzählstil. In diesem Zusammenhang
setzt sich die Untersuchung auch mit der Abgrenzung des historischen
Präsens vom epischen Präsens auseinander und zeigt, welchen Beitrag das
historische Präsens bei der Ausbildung des präsentischen Erzählens
leistet. Darüber hinaus bietet die Arbeit einen Einblick in die Gestaltung
der Erzählform (Ich- und Er-Erzähler) und in die Typologie auktorialer
Äußerungen.