Beschreibung
Abraham spielt eine wichtige Rolle im
jüdisch-christlich-muslimischen Dialog. Als “gemeinsamer
Vater” von drei Religionen soll er die Gegensätze
überbrücken und für das Verbindende stehen. Doch kann
“Abraham” wirklich die Basis für ein friedliches
Miteinander bieten? Ein Blick in die jeweiligen
Offenbarungstexte fällt eher ernüchternd aus, denn mit der
Chiffre “Abraham” betonen sie keineswegs nur
Gemeinsamkeit, sondern definieren auch die eigene Identität
durch Abgrenzung von Anderen. Dies zeigen exemplarisch Texte
aus der Hebräischen Bibel, dem frühjüdischen Jubiläenbuch,
dem Neuen Testament und dem Koran. Auch heilige Orte
verbinden und trennen: Mekka und Hebron als Verehrungsorte
von Abraham, Sara und Hagar sind zugleich gemeinsames Erbe
und Brennpunkte des Konflikts. Gerade in schwierigen Zeiten,
wenn überall Gegensätze verschärft werden, ist ein
gelingender interreligiöser Dialog lebensnotwendig. Er
braucht aber eine tragfähigere Basis als die schillernde
Abrahams-Figur der verschiedenen Traditionen. Einstweilen
kann “Abraham” allenfalls ein Codewort sein für den Wunsch
nach Geschwisterlichkeit und für die Absicht, Gemeinsamkeit
zu entwickeln.
Diese Arbeit wurde ausgezeichnet mit dem Augsburger
Wissenschaftspreis für Interkulturelle Studien 2006
Ulrike Bechmann ist Professorin für
Religionswissenschaft an der kath.-theologischen Fakultät
der Universität Graz.