Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit

Legitimation, Praxis und Wirksamkeit von Herrschaft
gehören zu den zentralen Themen der
Geschichtswissenschaft. Insbesondere die Frühe
Neuzeit war maßgeblich von einem
Verdichtungsprozess von Herrschaft geprägt. Allerdings
sind die bisher dominierenden Interpretationsmuster zur
Beschreibung von Herrschaftspraxis und Staatsbildung
in der letzten Zeit immer mehr in die Kritik geraten.
Dies gilt schon seit längerem für den der Ideenwelt des
19. Jahrhunderts entlehnten, ursprünglich teleologisch
fundierten Staatsbegriff im Allgemeinen sowie für das
davon abgeleitete Konzept des Absolutismus. Aber
auch jüngere, stärker auf sozialen und räumlichen
Vorstellungen basierende Modelle wie Otto Brunners
`Land und Herrschaft‘ oder Gerhard Oestreichs
Konzept der Sozialdisziplinierung sind problematisch
geworden. Ursächlich für dieses Unbehagen ist nicht
zuletzt die idealtypische Begriffsbildung, die den
Ergebnissen empirischer Forschung auf Dauer nicht
standhalten konnte und so schließlich an
erkenntnistheoretischem Nutzen verloren hat.

Über die idealtypische Begriffsbildung hinaus
scheint es deshalb notwendig, Herrschaft konkret, und
zwar in ihren räumlichen wie in ihren sozialen
Dimensionen und Reichweiten zu beschreiben.
Herrschaft wird somit als soziale Praxis begriffen, die
Herrschende und Beherrschte in einer kommunikativen
und sich wandelnden, allerdings durch obrigkeitlich
gesetzte Normen einerseits sowie ungeschriebene
Traditionen andererseits begrenzten Beziehung verband.

Diese soziale Praxis entwickelte sich innerhalb der
Grenzen eines Herrschaftsgebietes, oftmals aber
zunächst innerhalb des kleineren Rahmens rechtlich,
ökonomisch und sozial in sich geschlossener,
voneinander abgegrenzter räumlicher und sozialer
Einheiten. Um Herrschaft präzise beschreiben zu
können, erscheint es daher ratsam, sie im Rahmen
solcher Einheiten zu untersuchen, die oftmals zugleich
Herrschaftsraum wie Herrschaftsinstrument sein
konnten. Besonders gilt dies für Formationen, die sich
aufgrund von Selbstbeschreibung und Sinnstiftung, aber
auch ihrer funktionalen und kommunikativen
Binnenstrukturen als ’soziale Systeme‘ charakterisieren
lassen.

Zweifellos das herausragende Beispiel eines
solchen sozialen Systems ist das Militär, also die
Söldnerhaufen der aufziehenden Neuzeit und die
Stehenden Heere des 17. und 18. Jahrhunderts. Gerade
in diesen sich im und nach dem Dreißigjährigen Krieg
immer stärker institutionalisierenden, mittels
spezifischer Regeln und Symbole
zusammenschließenden und zugleich nach außen
abgrenzenden Armeen spiegelt sich die
Herrschaftsproblematik der Frühen Neuzeit in
besonders eindringlicher Weise wider. Zum einen war
die militärische Gesellschaft der Frühen Neuzeit mit
ihren Soldaten und deren Angehörigen in ihrer
Binnenstruktur zugleich sozial wie auch rechtlich und
hierarchisch, also herrschaftlich organisiert. Zum
anderen war das Militär selbst Herrschaftsinstrument –
im Krieg nach außen und im Frieden nach innen. Aber
auch andere, weniger geschlossen auftretende
Formationen und Institutionen kannten die doppelte
Funktion als Objekt und Subjekt von Herrschaft, als
deren Erprobungsfeld wie als deren Instrument. Dazu
gehörten beispielsweise die übrigen Bereiche
organisierter öffentlicher Herrschaftsausübung wie der
sich immer weiter differenzierende Polizei- und
Verwaltungsapparat oder die Justiz.

Die in der vorliegenden Schriftenreihe
erscheinenden Bände widmen sich der Geschichte
dieser sozialen Systeme in unterschiedlichen
thematischen und methodischen Zugängen, aus der
Binnensicht ebenso wie aus der Außenperspektive.
Immer aber steht dabei die doppelte Frage nach ihrer
Herrschaftsfunktion wie nach ihrer Herrschaftsintensität
im Vordergrund.


herausgegeben von
Matthias Asche,
Horst Carl,
Bernhard R. Kroener,
Stefan Kroll,
Markus Meumann,
Ute Planert,
Ralf Pröve,
Jörg Rogge
im Auftrag des „Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V.“
Redaktion: Carmen Winkel

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